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Aus der Sicht einer Erzieherin

Ich spreche hier nicht als eine einfache Erzieherin, sondern als eine Vertreterin all jener, die tagtäglich in Kindertagesstätten die Verantwortung für unsere Kleinsten tragen. Ich stehe hier, um meine Wut und meinen Frust über die Missstände in unserer Branche auszudrücken, denn genug ist genug!

Lasst mich euch einen Einblick geben, wie es ist, Erzieher:in in Sachsen zu sein. Unsere Ausbildung ist ein langer und steiniger Weg. Besonders hart ist er für diejenigen unter uns, die nicht das Glück haben, reiche Eltern zu haben. Zwei Jahre als Sozialassistent sind Pflicht. Hat man das Privileg, Abitur zu erlangen, verkürzt sich die Ausbildung auf ein Jahr. Ein Jahr, um Zeit zu generieren, damit wir endlich ein akzeptables Alter haben, um mit Kindern zu arbeiten.
Wir sind von Bafög und Nebenjobs abhängig, ohne Anspruch auf Kindergeld. Einen Anspruch auf Bfög und Kindergeld haben wir nur, wenn wir durch kein soziales Raster fallen. Die staatliche Unterstützung im Erlangen des Abschlusses ist die Ausnahme, nicht die Regel. Die Ausbildung ist unvergütet – 6 Jahre ohne Gehalt! Dual ist er zwar vergütet, aber das bedeutet dann eine 6-Tage Woche zu einem lächerlichen Azubi Gehalt!

Mit einem Realschulabschluss dauert die Ausbildung ganze 5-6 Jahre – zuerst Sozialassistent und dann die Ausbildung zur Erzieher:in.
Während unserer Praxis in der dualen Ausbildung sind wir oft 25 Stunden in der Kitagruppe angestellt, aber in der Realität sind es oft 35 Stunden. Der soziale Druck, noch mehr zu arbeiten, trotz Schule, lastet auf unseren Schultern. Du bist Praktikant, wenn es gerade bequem ist, bist aber der vollausgebildete, wenn es gerade um Notlagen geht und du die Einrichtung alleine stellen musst! Dann bist du die Vollzeitkraft, die das schon wuppen wird!

Verantwortung für 16 Kinder im Alter von 2,5 bis 5 Jahren, das ist unsere tägliche Realität. Wir haben keine Möglichkeit, “Nein” zu sagen. Wir müssen diese Verantwortung übernehmen, selbst wenn wir noch nicht ausgelernt haben. Und wenn etwas schiefgeht, werden wir zur Rechenschaft gezogen. “Warum hast du nichts gesagt?” fragen die Eltern. Am Ende sind wir die Leidtragenden, weil wir die Verantwortung übernommen haben. Was blieb uns denn anderes übrig?

Der Personalmangel in unseren Einrichtungen ist eklatant. Ständige Gruppenwechsel sind an der Tagesordnung, und pädagogische Arbeit ist kaum möglich. Aber es muss ja irgendwie laufen, oder? Aufgrund von Personalmangel setzen wir oft fremde Leute über Zeitarbeit ein. Wir können sie nicht wegschicken, selbst wenn sie schlecht mit den Kindern umgehen oder ungepflegt erscheinen. Der Betreuungsschlüssel für Kinder ab 3 Jahren liegt bei 1:12 bei einem Betreuungvertrag von 9 Stunden. Wir sagen: das ist inakzeptabel!

Es sind eure Kinder, denen alle drei Wochen jemand Neues vorgesetzt wird.
Es sind eure Kinder, bei denen wir lediglich Schadensbegrenzung betreiben, weil es für anständige pädagogische Angebote einfach nicht reicht.
Es sind eure Kinder, die euch zu Hause erzählen, was wir den ganzen Tag mit ihnen gemacht haben!

Und trotzdem hält sich der Gedanke, dass wir den ganzen Tag eh nichts tun, außer Kaffee zu trinken, zu schnacken und zu schlafen. Uns ist das Stigma auflegt, für mehr hätte es nicht gereicht. Wir wären zu blöd für einen richtigen Job. Jeder, der schonmal einen Kindergeburtstag ausgerichtet hat, weiss, was für ein Schwachsinn das ist!

Dann kam die Corona-Pandemie. Wo war die versprochene Coronaprämie? Wo war die Gefahrenzulage? Uns wurden immer wieder Versprechungen gemacht, aber am Ende erhielten viele von uns nichts.

Unsere Arbeitszeiten sind oft flexibel, weil wir versuchen, den Eltern entgegenzukommen. Unsere Care-Arbeit leisten wir nicht für die Kinder, sondern auch für die Familien. In Elterngesprächen geht es nie nur um das Kind in der Gruppe, sondern auch um die Geschwisterkinder. Diese immense Verantwortung wird nicht gesehen.
Und nicht zu vergessen, die Portfolio Arbeit: 2 Stunden die Woche; wie soll das gehen für 16 Kinder?!

Es ist ein Teufelskreis – wir werden schlecht bezahlt, weil gesellschaftlich abgewertet und werden abgewertet, weil wir schlecht bezahlt werden.

Aber warum ist das? Weil Erzieher:innen in der gesellschaftlichen Hierarchie ganz unten stehen. Wir leben in einem System, in dem Frauen zugeschrieben wird, es läge in unserer Natur, uns zu kümmern. Und weil wir das ja eh so gerne machen, muss man typisch weibliche Berufe halt auch nicht richtig bezahlen!

Unsere Probleme werden einfach ignoriert, weil sich niemand damit auseinandersetzen will. Aber wir können nicht länger schweigen. Wir müssen aufstehen und für unsere Rechte kämpfen!

Wenn ich höre, wie viel Manager verdienen, weil sie angeblich so viel Verantwortung tragen, schaue ich auf die 16 Kinder, die ich seit Stunden alleine betreue, und denke mir: Hätte ich mir mal lieber einen Job mit Verantwortung gesucht!

Es ist an der Zeit, dass die Gesellschaft unsere Arbeit anerkennt und respektiert. Es ist an der Zeit, dass wir fair bezahlt werden und die Unterstützung erhalten, die wir verdienen. Es hilft nicht, die bestehenden Verhältnisse zu verbessern, denn das macht es nur kurzfristig besser. Wir brauchen ein System, was bezhalte und unbezahlte Sorgearbeit gerecht auf die Gesellschaft verteilt und Car-Arbeit als das ansieht, was sie ist: knochenharte, anstrengede und kräftezehrende ARBEIT!!

Wir fordern:
– Aufweichung des Betreuungsschlüssels
– Anpassung der Gehälter – die Verantwortung für eure Kinder muss euch mehr wert sein als ein Einstiegsgehalt von gerade einmal 1800€ (wenn du Glück hast)
– Anpassung der Ausbildungsbedingungen: Vergütung der schulischen Ausbildung und eine Perspektive auf eine duale Ausbildung, die nicht dieselbe Zeit in Anspruch nimmt wie ein Medizinstudium
– eine Reflexion des Blicks auf ErzieherInnen durch die Gesellschaft: denkt mal zwei Jahre zurück – wie arbeitsfähig ist die Gesellschaft denn, wenn ihr niemanden habt, dem ihr eure Kinder anvertrauen könnt, weil eine Pandemie wütet? Stellt euch vor, wie die Welt still stünde, würden die ErzieherInnen ihre Arbeit niederlegen – ohne Notbetreuung!

Es donnert in den Kitas

Jeden Donnerstag 17:00 – 17:30 Uhr Mahnwache am Neuen Rathaus Leipzig

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